Georg Kolbe, Porzellanplastik Törichter Engel, KPM Berlin 1924

Beschreibung

Georg Kolbe (1877–1947), Törichter Engel, KPM Berlin 1924

Modell Törichter Engel
Modellentwurf Georg Kolbe
Modellbucheintrag März 1924
Modellnummer 11983
Taxnummer 5,7408
Höhe 61,8 cm
Marken Zepter in Unterglasurblau; Pressmarken Jahresbuchstabe Y für 1924, Modellnummer 11983 und Kreis mit zwei Strichen nach unten

Der Törichte Engel ist die einzige Porzellanplastik, die nach einem Entwurf des bedeutenden deutschen Bildhauers Georg Kolbe in der Berliner Porzellanmanufaktur ausgeformt wurde. Im Figurenprogramm der KPM ist die Figur das wichtigste Beispiel für die spätexpressive Phase der deutschen Bildhauerei nach dem 1. Weltkrieg.
Die hier gezeigte Porzellanplastik ist die einzig bekannte Ausformung aus einer Kleinstserie von nur drei Exemplaren (siehe unten)!

Der Eintrag in das KPM-Modellbuch erfolgte im März 1924, just zu der Zeit als der im Sommer 1923 vom preußischen Handelsminister Wilhelm Siering unrechtmäßig eingesetzte ehemalige Rosenthal-Direktor Max Schneider seine Stellung als Leiter der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Berlin aufgrund des öffentlichen Drucks bereits wieder zur Disposition stellen mußte. In dessen kurzer Amtszeit war es Schneider jedoch gelungen, einige sehr bekannte Bildhauer für eine Ausführung ihrer Werke in Porzellan zu begeistern. Neben Kolbe lieferten im Jahr 1924 auch Ernst Wenck, Gerhard Schliepstein, Louis Tuaillon (posthum), Ilse Scheffer, Hans Harry Liebmann und der Bauhauskeramiker Theodor Bogler Modelle für die KPM. Als Schneider dann zur Rosenthal AG zurückkehrte, hatte er Wenck und Schliepstein davon überzeugen können, deren Porzellanentwürfe fortan an der Manufaktur in Selb ausführen zu lassen. Von Georg Kolbe wiederum entstanden keine weiteren Plastiken. Seine einzige Porzellanarbeit war um 1928 ein großformatiges Relief dreier Frauen, das im Zuge der Neugestaltung der KPM-Niederlassung in der Leipziger Straße neben zwei Wandplatten von Renée Sintenis und Edwin Scharff entstand und dort zur Aufstellung gelangte.[1]

Im Georg Kolbe Museum in Berlin-Westend hat sich eine Holzfigur des Törichten Engels erhalten, ein Bronzeguss entstand erst 1930.[2] Die Kolbe-Expertin Ursel Berger vermutet als Vorlage für sämtliche Variationen ein Gipsmodell, das allerdings nicht erhalten ist. Die aus Mahagoni geschnitzte Figur ist mit einer Höhe von 75,5 cm ein Unikat, ebenso die Bronze, die materialbedingt 74 cm misst; die Porzellan-Version soll lediglich in einer Auflage von drei Exemplaren gegossen worden sein. Ein im Museum bewahrtes Foto des Bronzeengels ist rückseitig Kl. Genius beschrieben, was auf Kolbes Beschäftigung mit dem Werkkomplex Engel/Genius ab 1922 verweist. Gemeinhin wird auf den Zusammenhang zu den zu der Zeit von Kolbe konzeptionierten Projekten eines Mahnmals für Walther Rathenau (Genius auf Säule, 1922/23) und eines Grabmals für Ferruccio Busoni (geflügelter Genius, 1925) verwiesen.[3] Ähnliche Wolkensockel wie beim Törichten Engel verwendete Kolbe auch bei seinem Traum (1922) und dem Nächtlichen Genius (1923).[4] Die Figur steht in Auffassung und expressiver Gestaltung ferner in naher Verwandtschaft zu Kolbes Bronze Genius und der dreiviertellebensgroßen Holzplastik Zorn (beide 1923).[5]
Wie bei den Bronzefiguren Auferstehung (1920), Nonne  und Adagio (beide 1923) gingen Kolbes plastischer Gestaltung auch beim Törichten Engel eingehende Bewegungsstudien der Ausdruckstänzerin Charlotte Bara voraus.[6] Die religiös anmutenden Titel dieser Arbeiten sind pantheistisch und nicht explizit christlich zu verstehen.
Der Künstler selbst bemerkte zur Entstehungszeit seines Törichten Engels über seine eigene künstlerische Entwicklung sehr passend: Damals [zur Zeit seiner berühmten „Tänzerin um 1912] jedoch wußte ich schon, daß ich von der äußeren Naturerscheinung loskommen wollte (obgleich die „Tänzerin“ bereits etwas mehr ist als bloß ein vor der Natur modellierter Akt). Ich wußte, daß ich mehr der Idee des Plastischen nachgehen mußte, daß ich meine Skulpturen mehr „bauen“ müßte. Der Weg war lang und wurde mir schwer. Gott sein Dank! Denn das ist der Hauptspaß bei der Suche, das Suchen, das Marschieren. Heute entstehen meine Arbeiten überhaupt nicht mehr vor der Natur, außer Zeichnungen, in denen ich Bewegungen einfange. Ich bin dem Wesen des Plastischen nähergekommen, kann der Form an sich mehr Ausdruck geben. Meine Skulpturen sind architektonischer geworden.[7]


[1] Der 88 x 133,5 cm messende Gipsentwurf befindet sich aus dem Nachlass des Künstlers kommend in der Sammlung des Georg Kolbe Museums, Berlin (Inventarnummer Gi245). Abb. des Porzellanreliefs in: Tim D. Gronert, Porzellan der KPM Berlin 1918–1988, Band 1, 18.
[2] Vgl. Beschreibung in: Ursel Berger, Georg Kolbe. Leben und Werk, mit dem Katalog der Kolbe-Plastiken im Georg-Kolbe-Museum, Berlin 1990, Kat.Nr. 52, S. 259/260.
[3] Ebenda, 260/261.
[4] Ebenda, Kat. 49, S. 257, resp. 54, 261/262.
[5] Abb. in: Georg Kolbe, Begleit-Wort, in: Deutsche Kunst und Dekoration 27 (1923/24), Heft 3 vom Januar 1924, 194 und 201.
[6] Vgl. Ursel Berger, Der schreitende, springende, wirbelnde. Mensch – Georg Kolbe und der Tanz, Ausst.Kat., Berlin 2003, 60–63.
[7] Ebenda, 195/196.