Paul Scheurich, Wandfliese “Reiter mit Hund“, Karlsruhe 1920–26

Beschreibung

Paul Scheurich (1883–1945)
Reliefierte Wandfliese “Exotischer Reiter mit Hund“, um 1922

Entwurf Paul Scheurich um 1920
Ausführung Staatliche Majolika-Manufaktur Karlsruhe 1920–1926

Maße 44 x 36,2 x 4,6 cm
Steinzeugmasse, gegossen und geformt; farbige Schmelzmalerei
Pressmarke rückseitig: eingepresste Marke der Staatlichen Majolika-Manufaktur Karlsruhe

Ausgestellt:
Meissen, Museum der Meissen Porzellan-Stiftung, Paul Scheurich. Porzellangestalter Zeichner Grafiker, 6. März 2020 – 21. Februar 2021.

Ex. Collection Rafael

Vgl. das ebenfalls von GRONERT KUNSTHANDEL BERLIN angebotene Pendant zu dieser Fliese „Exotische Tänzerin mit Vogel“.

Diese beiden als Architekturkeramik in der Staatlichen Majolika-Manufaktur Karlsruhe entstandenen Fliesen entwarf Paul Scheurich in der Zeit um 1920 als seine erste erfolgreiche Schaffensperiode für die Manufaktur Meissen gerade begonnen hatte. Sie sind Teil einer Folge von insgesamt sechs verschiedenen Fliesen mit Flachreliefs nach indischen Motiven, die sowohl als Wandgestaltungen als auch Ofen- oder Kaminaufsätze Verwendung finden konnten.[1]
Die exotische Motivik und die neu-rokokoesk stilisierte Ornamentik zeigen exemplarisch zeittypische Einflüsse des spätexpressionistischen Art Deco in Scheurichs Schaffen um 1920.

Im Modellverzeichnis der Baukeramik sind die sechs Reliefs unter den folgenden Nummern gelistet. Im Archiv der Staatlichen Majolika-Manufaktur im General-Landesarchiv Karlsruhe, Abt. 69, Z/317 haben sich sechs aquarellierte Federzeichnungen erhalten, die am unteren Rand Mehrfarbig bemalte Reliefs mit verschiedenen Darstellungen nach Modellen von Professor Paul Scheurich, Berlin. bezeichnet sind:[2]

6125   Ruhende. Weibliche Aktfigur von vorn, mit halb erhobenen Armen unter einer Blütenranke
6126   Orientalisches Paar. Frontaldarstellung; Mann und Frau, beide mit nacktem Oberkörper, nebeneinander sitzend; Sternenhimmel über einer stilisierten Pflanze.
6127   Tänzerin. Weibliche Figur mit nacktem Oberkörper, von vorn; halb kniende, beide Hände angewinkelt über den Kopf erhoben, von stilisierten Ranken umgeben.
6128   Fliehende Antilope. Seitenansicht; der Mond leuchtet über einem stilisierten Baum.
6129   Jäger. Seitenansicht; bewaffnet mit Pfeil und Bogen, begleitet von seinem Hund, spornt der orientalische Fürst das Pferd zum Galopp.
6130   Frau mit Antilope. Die halbnackte Frau labt das Tier aus einem Füllhorn.

Der große Scheurich-Kenner Johannes Rafael schreibt ergänzend:
Das Karteiregister der Majolika-Manufaktur verzeichnet Scheurichs dekorative Flachreliefs schlicht als „Kacheln“ aus „grobkörnigem, weißem Scherben mit Schmelzmalerei und Hochglanz“. Die speziell für seine Fliesen entwickelte Steinzeugmasse wurde gegossen oder geformt. Die Staffierung ist unterschiedlich: Der Schmelz der craquelierten Zirkonglasur variiert in einem gelblichen bis braunen Grau; in der Bemalung der Reliefs überwiegen verschiedene Blau- und Grüntöne. Man kennt auch unglasierte Stücke mit blauer Engobenmalerei.[3]

Erstmalig öffentliche Erwähnung finden Scheurichs Karlsruher Reliefs am 28. September 1920 anläßlich einer Ausstellungsrezension in der Karlsruher Zeitung: Die Kunst der Wandplakette in Majolika vertritt der als Zeichner und Kunstgewerbler mit Recht so hochgeschätzte Paul Scheurich.[4] Vier der Platten werden 1921 auf der 26. Ausstellung des Freien Bundes in Mannheim gezeigt (vgl. Ausst.Kat. Nr. 180–183), auch auf der Deutschen Gewerbeschau 1922 in München ist die Manufaktur mit Scheurichs Arbeiten vertreten, die darüber hinaus in wichtigen Kunstpublikationen vorgestellt werden. Vier der sechs Reliefbilder sind noch heute an der Hausfassade Zähringer Allee 26 in Pforzheim zu bestaunen.[5]

Abb. der Reliefs in:
Deutsche Kunst und Dekoration 50 (1922),145 (Fliehende Antilope); 51 (1922/23), 60 (Tänzerin).
Die Kunst 50 (1922), 33 (Frau mit Antilope).
Ausst.Kat. Karlsruher Majolika, Badisches Landesmuseum Karlsruhe, 1979, Nr. 388–390, Ruhende, Orientalisches Paar und Frau mit Antilope.
Rafael, Ill. 1, S. 100 (identische Tänzerin und Orientalisches Paar).

Drei weitere, noch großformatigere Entwürfe mit Darstellungen chinesischer Figuren kaufte Max Adolf Pfeiffer 1926 von Scheurichs Frau für Meissen, wobei diese Kleinserie in Porzellan erst in den 1990er Jahren komplett ausgeformt wurde.[6]

[1] Im Archiv der Karlsruher Manufaktur haben sich Entwurfszeichnungen aller sechs Platten erhalten: Abb. in: J. und Erna Rafael, Reliefs in Meissener Porzellan, in: Keramos 147 (1995), 99–110.
[2] Ebenda, 101.
[3] Ebenda, 99.
[4] Zitiert nach Rafael, 99.
[5] Vgl. Rafael, 100/101.
[6] Vgl. Johannes Rafael, Paul Scheurich 1883–1945, Porzellane für die Meissener Manufaktur, Meissener Manuskripte Sonderband VIII, Meißen 1995, 71.

Für eine längere Biografie zu Leben und Werk von Paul Scheurich siehe:
Tim D. Gronert, PORZELLAN DER KPM BERLIN 1918–1988, Berlin 2020, Band 1, 70/71 und 465–470 und Band 3, 375–389.