Beschreibung
Paul Grunwaldt, Prunkteller Tête byzantine, KPM Berlin 1908
Ausführung Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin 1908
Dekor und Malerei Paul Grunwaldt Dezember 1908, nach Alphonse Mucha
Signatur und Datierung im Medaillon unten in Grau P. GRUNWALDT WEIHNACHTEN 08
Durchmesser 39,5 cm
Modell Urbino Wandschüssel, rund, Größe 4, ursprünglich zu Antikglatt
Modellentwurf KPM-Werkstatt unter Julius Mantel
Modellbucheintrag zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, wohl schon 1850er Jahre
Modellnummer 1054
Taxnummer 1,373
Marken Zepter in Unterglasurblau; Malersignet G. in Aufglasurblau; PAUL GRUNWALDT. – 1908 – in Aufglasurgold; Pressmarken Jahresbuchstabe H für 1908, Größenangabe 4 und Dreherzeichen M
Der vorliegende Teller ist die Abschlussarbeit des langjährigen KPM-Malers Paul Grunwaldt. Dieser hatte seine Ausbildung 1905 an der Königlichen Porzellan-Manufaktur begonnen und im Frühjahr 1909 offiziell beendet. Auf seinem Meisterstück, das er auf der größten der fünf sogenannten Urbino Wandschüsseln ausführte, kombinierte er mehrere aufwendige Dekortechniken und bewies so – immer noch erst 17jährig – sein außergewöhnliches Talent für die Porzellanmalerei:
Den äußeren Bereich des Tellers schmücken dekorative Arabesken und Schmuckornamente aus Reliefgold und Emailmalereien. Diese breiten sich in einem leicht variierten Dreifachrapport über verschieden farbige Fondzonen in – von außen nach innen – Bordeauxrot, Eierschale, Hellgrün, Zartviolett (alle vier in Aufglasur) und Kobaltblau (in Unterglasur und teils leicht goldgepudert). Die Mitte der Platte zeigt ein mehrfach in Gold, Kobalt und Goldsprenkeln gerahmtes Medaillon einer jungen Dame mit prächtigem Haarschmuck, ausgeführt in schwarz-grau schattierter Platinmalerei.
Die Darstellung des prachtvoll dekorierten Mädchenkopfes ist eine Kopie des berühmten Profilporträts der Brünetten (brune) der beiden Têtes byzantines, die der tschechische Jugendstilkünstler Alphonse Mucha (1860–1939) 1897 geschaffen hatte und die im folgenden Jahrzehnt durch zahlreiche Illustrationen weltweite Verbreitung fand.
Die Mucha Stiftung schreibt zu der Farblithografie der beiden Byzantininnenköpfen:
Mucha betrachtete die byzantinische Zivilisation als die geistige Heimat der slawischen Kultur. In seinem Stil integrierte er eine Vielzahl von dekorativen Motiven, die von der byzantinischen Kunst inspiriert waren, wie Mosaikarbeiten, Ikonen, prächtige Kostüme und Accessoires. Dieses Paar dekorativer Tafeln war so beliebt, dass es in verschiedenen Formaten reproduziert wurde, darunter Tafeln mit Variationen in der Rahmendekoration und dekorative Zinnplatten. Beide Frauen sind im Profil vor einem kunstvollen Hintergrund aus pflanzlichen Arabesken zu sehen. Sie tragen reich verzierten Schmuck im Haar, der, wie der Titel vermuten lässt, an byzantinisches Design erinnert. Auf beiden Tafeln fallen Haarsträhnen über die runden Rahmen hinaus, wodurch die Distanz zwischen den Frauen und dem Betrachter überbrückt und den ansonsten flachen Kompositionen Tiefe verliehen wird. Das exquisite Muster, das die runden Rahmen umgibt, erinnert an Spitzenstickerei, ein weiteres dekoratives Element, das in der mährischen Handwerkskunst bekannt ist. (https://www.muchafoundation.org/en/gallery/browse-works/object/240)
Möglicherweise fand Grunwaldt die Inspiration zu seiner Platindarstellung des Mucha-Kopfes im werkseigenen Archiv, wo zahlreiche zeitgenössische Druckgrafiken gesammelt und den KPM-Entwerfern zur Verfügung gestellt wurden.
Die Kombination von weltbekanntem Zentralmotiv, künstlerischer Entwurfsgestaltung und technischer Ausführung macht dieses Meisterstück eines über die Maße talentierten KPM-Lehrlings zu einem eindrucksvollen Zeitdokument der Jugendstilkunst an der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts und der ausgehenden Belle Époque.
Kurzbiografie:
Paul Richard Carl Grunwaldt
geb. 18. Januar 1891 in Berlin-Moabit, gest. 7. Juni 1962 in Weingarten bei Ravensbrück (Württemberg)
Sohn des Stellmachers Carl Gustav Grunwaldt und seiner Frau Maria, geb. Steinbeck. Beginnt als 14jähriger eine Lehre als Porzellanmaler, die er 1909 erfolgreich abschließt. Im Anschluß verdient er seinen Lebensunterhalt im Malercorps der Manufaktur, insbesondere als Blumenmaler. Wohl zusätzlich besucht er Kurse an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums und bildet sich so künstlerisch fort. Im Ersten Weltkrieg ist er Soldat. Nach dem Krieg schließt er sich früh der neugegründeten Novembergruppe an und beteiligt sich an deren Ausstellungen, Anfang der 1920er Jahre auch an der Großen Berliner Kunstausstellung (1921) und der Berliner Sezession (1924). 1923 heiratet er seine Verlobte Elisabeth, das Paar wohnt bis 1931 in Berlin-Lichterfelde, dann zieht es gemeinsam nach Reinickendorf. Anfangs vom französischen Kubismus fasziniert und vom in Berlin vorherrschenden Expressionismus beeinflusst, gewinnt der Stil der Neuen Sachlichkeit ab Ende der 1920er Jahre zunehmend die künstlerische Oberhand in Grunwaldts Schaffen. Neben Ölgemälden, Aquarellen, Tuschen, Gouachen, Bleistift- und Kohlezeichnungen bemalt Grunwaldt auch weiterhin in Hausmalerei Porzellane seine Manufaktur und Möbel in expressiver Auffassung. Bis 1943 ist er als Mitglied des Malercorps der KPM Berlin (mit Unterbrechungen) verzeichnet.
Während des Zweiten Weltkriegs entstehen mehrere stimmungsvolle Ansichten in der Ukraine, nach 1945 dokumentiert er die Zerstörung seiner Heimatstadt in diversen Bildern. Zur selben Zeit beginnt er eine Lehrtätigkeit an der Meisterschule für das Kunsthandwerk, wo er Studenten die Besonderheiten der Porzellanmalerei näherbringt. Nach der Übernahme des Direktorats durch Jan Bontjes van Beek 1953 leitet Grunwaldt die neue Porzellanklasse für Porzellangestaltung und -malerei. Im Zuge dieser Tätigkeit kooperiert Grunwaldt ab Anfang der 1950er Jahre eng mit der nahe gelegenen Manufaktur. Ein Frankreichbesuch 1954 beflügelt den Künstler zu einer späten Schaffensphase, in der er neue und alte Werke in verschiedenen Berliner Ausstellungen präsentiert. 1961 zieht er mit seiner Ehefrau aus gesundheitlichen und wohl auch politischen Gründen in den Süden der Bundesrepublik, wo er nur ein Jahr später verstirbt.
Die Stiftung Stadtmuseum Berlin besitzt zahlreiche frühe Arbeiten Paul Grunwaldts. Der Großteil seines künstlerischen Nachlasses ging nach dem Tod seiner Frau 1983 in den Besitz des Bezirksamts Reinickendorf über. 1984, 1987 und zuletzt 2022 würdigte der Bezirk seinen langjährigen Bewohner mit umfangreichen Werkschauen.
Der hier gezeigte Prunkteller stammt aus dem Teil des Nachlasses des Künstlers, der jahrzehntelang in der Familie verblieb.







